Zu süßes Essen für Kinder

Eltern wollen für ihre Kinder nur das Beste – auch in der Ernährung. Fakt ist jedoch, dass die deutschen Kleinkinder im Durchschnitt fast doppelt so viele Süßigkeiten wie empfohlen essen. Doch nicht nur Süßigkeiten sind süß, auch in den meisten Fertigprodukten befindet sich viel mehr Zucker als Eltern vermuten. Doch was ist tatsächlich zu viel?

Zucker versüßt uns das Leben, und so ist es auch kein Wunder, dass fast alle Kinder geradezu verrückt nach Süßigkeiten sind. Doch die deutschen Kinder naschen eindeutig zu viel. 2011 veröffentlichte das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund Ergebnisse der GRETA-Studie (German Representative Study of Toddler Alimentation), welche die Ernährungsgewohnheiten von Ein- bis Dreijährigen untersuchte. Es zeigte sich, dass diese Altersgruppe fast doppelt so viele Kalorien wie empfohlen durch Süßigkeiten aufnimmt. Was bei den Kleinen beginnt, setzt sich bei den älteren Kindern fort. Verschiedenste Studien belegen, dass der Konsum von Süßigkeiten und Süßgetränken bis zum Ende der Pubertät nochmals deutlich ansteigt. In der KidsVerbraucherAnalyse 2013 gaben die befragten Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren an, dass sie gut zwei Drittel ihres Taschengeldes für Süßigkeiten, Kekse und Kaugummi ausgeben.

Die Zuckerindustrie betont, dass der Zuckerkonsum in Deutschland seit Jahren konstant bei rund 36 Kilogramm Zucker pro Kopf und Jahr liegt. Gemäß dem Statischen Jahrbuch des Bundesministeriums für Ernährung konsumiert jeder Bundesbürger zusätzlich weitere 10,5 Kilogramm Glukose und 1,1 Kilogramm Honig. Damit isst er knapp 130 Gramm Zucker pro Tag. Dies ist deutlich zu viel, denn die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt eine maximale Zuckermenge von 50 Gramm pro Tag und diskutiert aktuell eine weitere Senkung dieses Wertes auf 25 Gramm. Für Babys und Kleinkinder gibt es keine einheitlichen Empfehlungen. Rechnet man die Angaben der WHO auf den Energieverbrauch eines Einjährigen runter, dann dürfte er rund 20 Gramm oder sechs Würfel Zucker pro Tag essen.

Zucker ist der Grundbaustein aller Kohlenhydrate, welche den Organen, Muskeln und dem Gehirn Energie liefern. Entsprechend ihrem chemischen Aufbau unterscheidet man zwischen Ein-, Zwei- und Mehrfachzuckern. Zu den Einfachzuckern gehören Glukose (Traubenzucker) und Fruktose (Fruchtzucker). Sie bestehen aus nur einem Zuckermolekül und sind die Bausteine für alle anderen Zuckerarten. Zu den Zweifachzuckern zählen Milchzucker (Laktose), Malzzucker (Maltose) sowie Haushaltszucker (Saccharose), der in Form von Würfel-, Kristall- Puder- oder Rohrzucker verkauft wird. Mehrfachzucker bestehen aus jeweils mehr als zwei Zuckermolekülen. Der bekannteste Mehrfachzucker ist Stärke, die in Kartoffeln oder Getreideprodukten vorkommt. Der Unterschied zwischen kurzkettigen Zuckern (Ein- und Zweifachzucker) und langkettigen Zuckern liegt darin, wie der Körper sie verdaut: Je kürzer die Zuckerketten sind, desto schneller gelangen sie ins Blut. Allerdings hält dieser rasche Energieschub immer nur kurz an. Mehrfachzucker werden hingegen langsam verdaut und versorgen den Körper lange Zeit kontinuierlich mit Energie. Zudem sind Ein- und Zweifachzucker nährstoffarm, Mehrfachzucker liefern hingegen auch wichtige Vitamine und Mineralstoffe.

In Lebensmitteln kommt Zucker entweder natürlich oder in zugesetzter Form vor. Die Lebensmittelindustrie verwendet gerne industriell hergestellten Glukosesirup sowie Maltodextrin, um Nahrungsmittel zu süßen oder ihnen Volumen zu geben. Jessica Fischer vom Verbraucherschutz Berlin meint dazu: „Günstige Zuckerarten wie Glukosesirup kommen oft in preiswerten Lebensmitteln als Füllstoff oder Geschmacksverstärker vor. Das Schlechte daran ist, dass Zucker wertvolle, gesunde Rohstoffe ersetzt. Ein gutes Beispiel ist ein Erdbeerjoghurt, welcher nur sechs Prozent Erdbeeren enthält. Den Großteil des Geschmacks liefert irgendeine Zuckerart.”

Zucker ist auch der Hauptbestandteil von Honig, Ahornsirup oder Agavensirup. Diese Produkte gelten allgemein als gesunde Alternative zu Haushaltszucker. Professor Mathilde Kersting vom Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) widerlegt diese These: „Diese Produkte enthalten nur Mikromengen an Mineralstoffen, haben jedoch einen mit Zucker vergleichbaren Energiegehalt. Deshalb macht es höchstens geschmacklich einen Unterschied, ob Honig oder Kristallzucker verwendet wird.”

Die Lebensmittelindustrie benutzt zum Süßen nebst Zucker auch sogenannte Zuckeraustauschstoffe und Süßstoffe. Beides sind Zusatzstoffe und müssen mit E-Nummern deklariert werden. Zur Gruppe der Zuckeraustauschstoffe zählen der Einfachzucker Fruktose sowie die Zuckeralkohole Sorbit, Xylit, Isomalt, oder Maltit. Der Hauptunterschied zu Zucker liegt in der Art, wie der Körper die Stoffe verdaut. Zuckeraustauschstoffe werden sehr viel langsamer zerlegt und nicht komplett verdaut. Mit Ausnahme von Fruktose haben sie keine kariesfördernde Wirkung. Deshalb verwendet die Industrie sie gerne zum Süßen von zahnschonenden und zuckerfreien Produkten. Zuckerfrei bedeutet aber keineswegs kalorienfrei. Zwar haben die meisten Zuckeraustauschstoffe weniger Kalorien, ihre Süßkraft ist dafür auch geringer. Besonders kritisch ist vor allem der häufige Einsatz von Zuckeraustauschstoffen in Süßgetränken. Zwar erscheinen die als zuckerfrei beworben Getränke gesünder, doch ihr Energiegehalt ist ähnlich hoch wie bei zuckerhaltigen Produkten.

Die synthetisch hergestellten Süßstoffe, wie beispielsweise Aspartam, haben eine extrem viel höhere Süßkraft, aber fast keine Kalorien. Trotz dieser Vorteile sind sie als Zutat für Babynahrung verboten und auch ansonsten nur in Maßen empfohlen. Kersting erläutert: „Zwar gelten Süßstoffe als gesundheitlich unbedenklich, doch aufgrund ihres intensiven, unnatürlichen Süßgeschmacks tragen sie dazu bei, dass bei Kindern die Geschmacksprägung auf «süß» verstärkt wird.” Deshalb empfiehlt sie, auf Süßstoffe zu verzichten.

Weiter führt sie aus, dass es keinen wissenschaftlichen Beweis dafür gibt, dass Zucker, Übergewicht oder Diabetes Typ 2 begünstigt. Kinder nehmen zu, wenn sie mehr essen, als sie durch körperliche Aktivitäten verbrennen. Was sie essen spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Klar ist hingegen, dass Zucker Karies fördert. Die Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) bestätigt, dass der direkte Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und Karies wissenschaftlich belegt ist. Bakterien im Zahnbelag wandeln Zucker in Säure um, die den Zahnschmelz demineralisiert und zu Karies führt. Die DGZ empfiehlt, maximal vier zuckerhaltige Zwischenmahlzeiten pro Tag aufzunehmen. Zahnschonende Süßigkeiten sind deshalb mit Zuckeraustauschstoffen oder Süßstoffen gesüßt. Für Zuckeraustauschstoffe gelten allerdings Grenzwerte, weil sie in größeren Mengen Blähungen verursachen und zu Durchfall führen können, erklärt Kersting.

Zucker in Maßen ist also nicht ungesund. Das Problem mit Zucker ist, dass er keine zusätzlichen Nährstoffe enthält. Kersting erläutert: „Es ist wichtig, dass Kinder genügend wertvolle Vitamine und Mineralstoffe zu sich nehmen. Essen sie zu viel zuckerreiche Nahrung, fehlen ihnen diese. Mit der Süße aus Früchten werden dagegen nebst Zucker viele wertvolle Nährstoffe geliefert.”

„Die Vorliebe für den süßen Geschmack bringen wir schon ins Leben mit“, erläutert Dr. Barbara Miltner-Jürgensen, Fachfrau für Kinderernährung im Auftrag des Ministeriums Baden-Württemberg. Früher gab es nur ein Ziel in der Ernährung: genügend Energie aufnehmen! Süße Lebensmittel mit vielen wertvollen Kohlenhydraten sicherten das Überleben. Zudem gibt es die Theorie, dass „süß“ ein Sicherheitsgeschmack ist. „So weit ich informiert bin, gibt es keine süßen Naturprodukte, die giftig sind“, meint Miltner-Jürgensen.

Nebst dieser evolutionären Vorliebe prägt die Ernährung der Mutter das Geschmacksempfinden eines Babys schon im Mutterleib. Später erhält das Baby beim Trinken der süßen Muttermilch oder dem Muttermilchersatz viel Zuneigung, was den süßen Geschmack zusätzlich positiv prägt.

Genau diese Vorliebe macht sich die Lebensmittelindustrie zunutze. Sie produziert süße Produkte, damit sie den kleinen Kindern besonders gut schmecken. „Das Einbringen von Süßungsmitteln legt weitere Geschmacksvorlieben, die die Geschmacksprägung bis ins Alter formt“, verdeutlicht Miltner-Jürgensen. „Deshalb ist es umso wichtiger, die Kinder nicht noch weiter an den süßen Geschmack zu gewöhnen, denn im Gegensatz zu früher,

enthalten die Lebensmittel nicht nur natürliche Süße sondern sehr viele industriell zugesetzte, süße Aromen.“

„Kinder haben einen fein ausgeprägten Geschmackssinn, der zwar süß bevorzugt; zu viel Süße stört aber die Geschmacksbildung“, meint Miltner-Jürgensen. „Essen Babys ständig zu stark gesüßte Produkte, nehmen sie einen von Natur aus süßen Apfel nicht mehr als süß wahr.”

Professor Mathilde Kersting betont, dass der Mensch problemlos ohne Zucker leben könne. Die langkettigen Kohlenhydrate, die beispielsweise in Stärke enthalten sind, liefern genügend Energie. Allerdings hält sie es für sinnvoll, den Umgang mit Zucker sachlich zu behandeln. „Zucker soll nicht aus unserem Leben verbannt werden. Die Kinder sollen einen vernünftigen Umgang mit Zucker lernen.” So gibt das Forschungsinstitut für Kinderernährung auch eine Empfehlung zum Umgang mit zuckerreichen Lebensmitteln: Weniger als zehn Prozent der Gesamtenergiemenge sollen in der vom FKE entwickelten Optimierten Mischkost in Form von Süßwaren, Knabberartikeln oder gesüßten Getränken konsumiert werden.

Das FKE gibt wissenschaftlich basierte Empfehlungen, die sich auch an die Industrie richten „Wir möchten, dass die Hersteller Produkte produzieren und verkaufen, die einen höheren Gemüse- und Fruchtanteil enthalten“, sagt Kersting.

Laut Aussage von Dr. Susanne Knittel, Head of Corporate Communications bei Danone Deutschland, nimmt Danone die Forderungen der Ernährungswissenschaftler ernst. „Wir haben in den letzten 30 Jahren den Zuckergehalt in Fruchtzwergen von 16,9 Gramm auf 12,8 Gramm pro 100 Gramm, also um rund 23 Prozent, reduziert. Zudem bieten wir seit 1989 auch die Geschmacksvariante «Weniger süß» an, deren Zuckerhalt nochmals um gut 15 Prozent tiefer ist.”

Ist also die Evolution oder doch die Industrie daran schuld, dass wir uns zu süß ernähren? „Sowohl als auch“, meint Miltner-Jürgensen, „doch dazu kommt, dass sich nur ein geringer Teil der Eltern ernsthaft damit auseinander setzt, was ihre Kinder essen.” „Zudem klaffen Forderungen bezüglich Ernährung und das persönliche Verhalten weit auseinander“, meint Knittel. „Wir bieten mit «Actimel ohne Zucker» ein Produkt an, dass keinerlei Zucker oder Süßstoffe außer der in Milch enthaltenen Laktose enthält. Doch die Konsumenten nehmen dieses Produkt leider sehr schlecht an. Wir sehen uns natürlich in der Verantwortung, gesunde Produkte anzubieten, diese müssen auch gekauft werden.”

Doch auch interessierte Eltern, die ihre Kinder gesund ernähren wollen, können beim Kauf von Fertigprodukten den Zucker nicht leicht erkennen. Im Jahr 2013 haben die deutschen Verbraucherzentralen 276 Lebensmittel auf deren Zuckergehalt und die Kennzeichnung süßender Zutaten getestet. Neben Zucker fanden sie 70 weitere Bezeichnungen für Süßmacher. Jessica Fischer von der Verbraucherzentrale Berlin meint dazu: „Zwar müssen die Hersteller auf jedem Produkt alle verwendeten Zutaten in der Zutatenliste aufführen. Allerdings kommen in den meisten Produkten mehrere süßende Zutaten vor, so dass Zucker auch bei Erzeugnissen mit hohem Zuckergehalt nur noch selten an erster oder zweiter Stelle erscheint. Dadurch können die überforderten Konsumenten den Zuckergehalt nicht mehr richtig einschätzen.“

Für mehr Durchblick sollen ab Dezember 2016 die erweiterten Nährwerttabellen sorgen, die auf jedes Produkt aufgedruckt werden müssen und den Zuckergehalt in einer eigenen Position ausweisen. Allerdings betont Fischer, dass auch diese Nährwerttabellen unzureichend sind: „Unter der Rubrik Zucker stehen nur Ein- und Zweifachzucker, also keine Zuckeraustauschstoffe oder Sirupe aus Mehrfachzucker. Verwendet ein Hersteller Zuckeraustauschstoffe statt Zucker, tauchen diese in der Tabelle nicht unter Zucker auf. Allerdings ist der Brennwert gleich hoch wie bei einem mit Zucker gesüßten Produkt.”

Verschärft wird die Problematik des versteckten Zuckers durch das irreführende Bewerben der Produkte. Werbebotschaften wie «ohne Kristallzucker» oder „mit besonders wertvollen Vitaminen“ suggerieren Gesundheit. „Die Eltern werden bewusst irregeführt“, sagt die Ernährungsberaterin Barbara Miltner-Jürgensen. „Sie vertrauen auf diese Werbeversprechen. Doch in Deutschland gibt es beispielsweise nur einen einzigen Milchbrei ohne zugesetzten Zucker zu kaufen. Eltern sollten sich nicht von gut klingenden, zusätzlichen Beimischungen beeinflussen lassen. Kinder brauchen bei einer ausgewogenen Ernährung keine zugesetzten Vitamine.”

Fast ohne Ausnahme enthalten Kinderprodukte mehr Zucker und Fett als vergleichbare normale Lebensmittel. Miltner-Jürgensen betont: „Kindernahrung ist eine Erfindung der Industrie. Gesunde Kleinkinder können ab dem 12. Monat am Familientisch mitessen. Sie brauchen keine Spezialkost und schon gar nicht spezielle Kinderlebensmittel. Eine ausgewogene Ernährung, die sich an Empfehlungen der «Optimierten Mischkost (optiMIX)» des FKE hält, versorgt Kinder ausreichend und kostengünstig mit Nährstoffen.” «optiMIX» basiert auf drei einfachen Regeln: Es wird empfohlen, pflanzliche Lebensmittel und Wasser reichlich, tierische Lebensmittel in Maßen und zucker- und fettreiche Lebensmittel sparsam zu essen. Miltner-Jürgensen fügt hinzu: „Am besten ist es immer noch, selbst zu kochen – dann weiß man, was drin steckt. Da Fertigprodukte jedoch aus der heutigen Ernährung nicht mehr wegzudenken sind, sollten sich ernährungsbewusste Eltern gut über die Inhaltsstoffe der Produkte informieren. ”

Kersting stellt fest: „Zucker kann Bestandteil einer gesunden Ernährung sein – es kommt jedoch auf die Dosierung an.“

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